Dies sind Bilder meiner Beobachtungsreise der Wende.
Es ist auch meine persönliche Geschichte und der Wandlung, wie ich sie beim Zeichnen der Mauer erlebt habe.
1990 und 1991 fahre ich nach Berlin, als begeisterte und erschütterte Westdeutsche im Bewusstsein, zum ersten mal Geschichte so hautnah zu erleben.
Nach Öffnung der Grenze bin ich mehrerer Tage mit dem Fahrrad unterwegs entlang der Berliner Mauer und dokumentiere den Auflösungsprozess in zahlreichen Zeichnungen.
Nur als klare Beobachterin kann ich mein betroffenes Staunen von der Abstraktion in die Zeichnung hinein übersetzen.
Auf meiner Fahrradstrecke halte ich immer wieder an, schaue unverwandt auf dass, was ich zeichne, bis ich ganz eingetaucht bin in das, was ich sehe.
Blätter fallen Stück für Stück vom Zeichenblock, ich zähle sie nicht, vergesse die Zeit und manchmal auch den Ort; die Grenzen zwischen Ost und West verwischen.
Wo bin ich? Was geschieht hier mit mir?
Ich zeichne.
Ich erlebe die Mauer in ständig fortschreitendem Verfall.
Die Agonie schreitet von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde weiter.
Ich verliere die Orientierung, wie die Mauer selbst, die ihren Sinn verloren hat.
Ich falle vom Fahrrad, bin aufgewühlt und gleichzeitig in angespannter Ruhe beim Zeichnen:
Es ist die Beobachtung einer Dekonstruktion, die Auflösung und der Verfall eines riesigen, einst mächtigen Betonkörpers.
Das scheinbar Unerschütterliche, der von Menschen betonten Grenze, ist jetzt selbst erschüttert.
Aus den Betonwinkelelementen ragen Moniereisen heraus wie die Arme eines Ertrinkenden.
Teile lösen sich und geben Durchblicke und Einblicke frei zu jeder Seite der Grenze.
Neue Perspektiven entstehen von Ost und West. Zeit und Raum verwischen.
Auch mein geschlossenes Liniensystem bricht mehr und mehr auseinander.
Stabilität löst sich auf.
Ich zeichne.
Die Trennung von Diesseits und Jenseits der Zonengrenze verliert sich und wirkt grotesk in seiner Destabilität.
Zusammenbruch und Aufbruch verbinden sich zu einem Kreislauf von Sterben und Werden.
Historisches und Persönliches verbinden sich: Wo ist die Grenze?
Viele Tode gab es an der Mauer, jetzt stirbt die Mauer selbst.
Im alten Todesstreifen zeigt sich ein goldgelbes Band von Mauerpfeffer.
Die Trümmer der Mauer können zum „leuchtenden Feld“ werden – Campo Stella -
Heute wächst um die Kapelle ein blühendes Feld.
Hat nun der Tod seinen Schrecken verloren?
Der Pilgerweg geht jetzt entlang dem Wandelgang ins Innere der Kapelle, dem Ort der Versöhnung, jetzt ohne Grenze, offen für den Wandel.
Wer bin ich? Und wer sind wir?
Grenzen verwischen.
Zeichnungen sind entstanden.
Die Geschichte der Mauer ist lebendig.